Äthiopien: Menschen und Tiere leiden unter der anhaltenden Dürre

"Das Schlimmste steht noch bevor"

Von Audrée Montpetit. Übersetzt aus dem Englischen von Marlies Binder

Vor zwei Tagen bin ich in der Region Oromia im südlichen Teil Äthiopiens angekommen. Ich bin hier mit zwei anderen Kollegen von CARE, um herauszufinden, wie sich die Dürre auf Frauen, Männer, Jungen und Mädchen auswirkt. Wir haben den Bezirk Moyale an der kenianischen Grenze besucht. Hier hat es in den vergangenen sechs Monaten kaum geregnet. Obwohl es vereinzelt geregnet hat in den letzten Tagen, sind viele Gebiete immer noch vollkommen trocken.

Die Bewohner in Borena in der Region Oromia sind Viehzüchter und abhängig von ihren Rindern, Ziegen, Schafen und Kamelen. In den letzten Monaten sind bereits viele Rinder wegen der Dürre gestorben. Obwohl die Viehzüchter versuchen, die Kadaver zu entsorgen, um Krankheiten zu vermeiden, liegen immer noch überall Kadaver herum – es sind einfach zu viele.

Viele Leute erzählen mir, dass dies nicht die erste Dürre ist. Die Menschen in Äthiopien sind den Wechsel von Regen- und Dürrezeiten gewohnt. Anders als sonst sterben diesmal allerdings nicht nur Rinder, sondern auch Ziegen und Schafe. Das ist wirklich beunruhigend, da Ziegen gegenüber Dürre sehr resistent sind, weil sie von Sträuchern über Büsche bis hin zu kleinen Zweigen nahezu alles fressen können.



Ein ganzer Tag um Wasser zu holen

Es gibt nicht mehr genügend Weidefläche und Wasser. Das hat vor allem auf Frauen eine große Auswirkung. Denn es sind sie, die für das Holen von Wasser verantwortlich sind und weite Wege dafür zurücklegen. Eine Gruppe von Frauen erzählte mir, dass sie vor der Dürre ungefähr eine halbe Stunde zur Wasserstelle brauchten.

Jetzt dauert es sechs Mal so lang: drei Stunden. Eine zweite Gruppe berichtete, dass sie jetzt nicht nur eine viertel Stunde,  sondern zwei Stunden zur Wasserstelle bräuchten und dann noch vier bis sechs Stunden anstehen müssten. Weil es kaum Nahrung gibt, kehren sie hungrig und erschöpft nach Hause zurück. Diese Tortur wiederholt sich für sie jeden Tag aufs Neue.

Viele Frauen sind auch dafür zuständig, das Vieh mit Gras zu versorgen. Daher bleibt ihnen für ihre Aufgaben im Haushalt und ihre Kinder sehr wenig Zeit. In einigen Fällen sah ich alte Menschen auf kleine Kinder aufpassen. In Äthiopien brechen immer mehr Mädchen die Schule ab, um ihren Müttern bei der Erledigung der Hausarbeit zu helfen oder auf ihre Geschwister aufzupassen. Ein 17-jähriger Junge erzählte mir, dass seit Beginn der Dürre nur noch 25 von ursprünglich 82 Kindern in seine Stufe gehen – die meisten davon sind Jungen. 



Eine Mahlzeit am Tag

Ein Großteil der Rinder, die ich gesehen habe, waren sehr geschwächt. Die Menschen erzählten mir, dass viele davon zu schwach sind, um ohne Hilfe aufzustehen und wie sie versuchen, ihnen dabei zu helfen. Mindestens drei kräftige Personen braucht man dazu.

Seit es kein Gras mehr gibt, müssen Männer auf Bäume klettern, um Blätter abzuschneiden, die sie an die Tiere verfüttern können. Die Menschen haben ebenfalls ihre Nahrungsaufnahme reduziert. Vor der Dürre gab es bei den meisten Familien drei Mahlzeiten am Tag.

Jetzt essen sie nur noch einmal am Tag. Die Kinder essen zuerst, dann der Vater und zum Schluss bekommt die Mutter die Reste, die noch übrig bleiben. Es gibt zwar auf dem Markt Lebensmittel zu kaufen, aber die Preise sind in den letzten Monaten extrem gestiegen, in der Region Oromia im April sogar über 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Menschen können es sich schlichtweg nicht mehr leisten, etwas zu kaufen.

Man muss leider befürchten, dass das Schlimmste noch bevor steht. Die Niederschläge der vergangenen Tage gehören zu einer kurzen Regenzeit, nach der die nächste Dürreperiode folgt, die bis September anhalten wird. Die Menschen haben große Angst vor der Zukunft und ob sie die Dürreperiode bewältigen werden können.

Die äthiopische Regierung reagiert auf die kommende Dürre bereits mit der Verteilung von Lebensmitteln. Gerade heute konnte ich so eine Verteilung sehen. Aber es ist ganz offensichtlich nicht genug da, um alle, die in Not sind, zu versorgen.