Fünf Jahre nach dem Erdbeben haben Yvette Lapaix und ihre Nachbarn in Carrefour, einem Stadtteil der Hauptstadt Port-au-Prince, eine Menge wieder aufgebaut. Besonders stolz ist Yvette aber nicht auf Steine oder Mörtel, sondern auf das Miteinander. „Wenn Menschen zusammenkommen, die sich vorher nicht kannten, und zusammen an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, lernen sie, einander zu vertrauen. Sie bilden eine Gemeinschaft“, erklärt sie. Für Menschen, die durch das Beben zu Vertriebenen geworden sind, bedeutet diese Gemeinschaft ein erster Schritt zu einem neuen Zuhause.
CARE-Kleinspargruppen ermöglichen Yvette und anderen Überlebenden des Erdbebens, größtenteils Frauen, ihre finanzielle Lebenssituation zu verbessern. Die Mitglieder der Kleinspargruppen bilden autonome Arbeitsgruppen, die ihre Ersparnisse eigenständig sammeln, sich gegenseitig Darlehen vergeben und das Geld in eigene Geschäftsideen reinvestieren, wie etwa einen Lebensmittelladen in der Nachbarschaft. In den letzten drei Jahren hat Yvette gewissenhaft gespart und konnte sich so rund 50.000 Gourdes, das sind umgerechnet etwa 920 Euro, von ihrer Gruppe leihen und bereits wieder zurückzahlen. Dadurch erzielte sie einen Gewinn zwischen 30 und 40 Prozent, den sie in ein Lebensmittelgeschäft investierte. Andere Kleinspargruppenmitglieder nutzten ihre Gewinne, um zerstörte Häuser zu reparieren, ihre Kinder zur Schule zu schicken und Essen oder andere Waren zu kaufen.
Das Modell der Kleinspargruppen wurde von CARE zum ersten Mal in Subsahara Afrika eingeführt. Mittlerweile ist das Sparprogramm in vielen weiteren Ländern der Welt erfolgreich und bildet eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau nach Katastrophen, wie etwa in Carrefour. Bis zum Herbst 2014 hatten sich fast 1.200 Kleinspargruppen aus den Programmen von CARE gebildet. Von rund 32.300 Kleinspargruppenmitgliedern sind 23.800 Frauen, das sind rund 74 Prozent der Teilnehmer. Gemeinsam haben die Gruppen mehr als 1 Million Euro gespart.
Rund 200 der Kleinspargruppen befinden sich in Carrefour. Dort arbeiten viele Dorfvertreter daran, das Sparmodell zu verbreiten. CARE ernannte Yvette als Dorfvertreterin, weil sie Talent darin hat, ihre Nachbarn über das Programm zu informieren. Indem sie die Geschichte ihres eigenen Erfolges teilt, hilft sie dabei, dass sich weitere Gruppen bilden. So ist aus vielen ängstlichen und isolierten Menschen eine Gemeinschaft geworden. „Es gab viele Leute, die durch das Erdbeben ihre Häuser oder sogar ihre Kinder verloren haben. Ich verlor meine 21-jährige Nichte. Aber die Kleinspargruppe hat uns zurück ins Leben geholfen und uns unterstützt“, sagt Yvette.
Ursprünglich kommen die Menschen, um ihr Einkommen zu verbessern, erklärt sie weiter. Aber sobald die neuen Mitglieder anfangen ihre Ersparnisse zu bündeln, indem sie ihre Wochenbeiträge in einer Kasse sammeln und einem Gruppenmitglied anvertrauen, bilden sich Bande des Vertrauens, die über das Geschäft hinausgehen. „CARE hat Menschen, die sich nicht kannten, dabei geholfen zusammenzukommen und sich aufeinander zu verlassen“, fügt Yvette hinzu. „Manchmal neigen Haitianer dazu, auf die Hilfe von anderen Menschen zu warten. Aber durch Kleinspargruppen haben wir gelernt, dass es etwas gibt, das wir aus eigener Kraft schaffen können. Am liebsten würde ich überall in meinem Heimatland Kleinspargruppen sehen.“