Fast fünf Jahre nach dem tödlichen Erdbeben, das mehr als 1,5 Millionen Haitianer obdachlos machte, zählt Yvette Prévilia Fénélon, 60 Jahre alt, zu denen, die immer noch in Zelten in einem provisorischen Camp leben. Aber nicht mehr lange.
Seit kurzem nimmt Prévilia an einem einzigartigen CARE-Programm teil, das Camp-Bewohnern hilft in dauerhafte Unterkünfte zu ziehen. Dabei werden obdachlose Familien mit Familien zusammengebracht, deren Häuser nach dem Erdbeben bewohnbar waren, aber Reparaturen benötigen. Prévilia wird zu einer Familie ziehen, die von CARE finanzielle Hilfe und Baumaterial erhält, um ihr vom Erdbeben zerstörtes Haus zu reparieren. Im Gegenzug dafür darf Prévilia mit ihrer Familie für mindestens ein Jahr mietfrei im Haus der anderen Familie leben.
Der erste Schritt besteht jedoch darin, eine neue Existenzgrundlage zu schaffen. „Ich beginne damit mein Geschäft wieder aufzubauen“, erklärt Prévilia. „Vor dem Erdbeben besaß ich einen kleinen Marktstand, an dem ich frittierte Lebensmittel, gebrauchte Kleidung und Holzkohle verkaufte. Durch das Erdbeben verlor ich mein Zuhause und mein Geschäft.“ Nun nutzt sie ihre bescheidenen Ersparnisse, die sie durch eine CARE-Kleinspargruppe gewonnen hat, um neue Ware zu kaufen. Mit der Hilfe ihres Enkels verkauft sie zudem Kohle am Straßenrand, um sich über Wasser halten zu können.
Wenn es darum geht neue Gastfamilien auszuwählen, ermutigt CARE die Teilnehmer sich an Familien zu wenden, die sie bereits kennen und mit denen sie sich wohlfühlen. CARE hilft beiden Familien neue Lebensgrundlagen zu schaffen, wie etwa bei Prévilias Geschäft. Ziel ist es, dass die Menschen finanziell unabhängig werden und langfristig dazu in der Lage sind, sich ein eigenes Zuhause zu leisten.
„Es ist einer von CAREs innovativsten Ansätzen, die Menschen zur Selbsthilfe zu ermutigen und gleichzeitig den Gemeinschaftssinn fördern“, erklärt John Augustin, der das Programm leitet. „Es ist ein großartiges Beispiel dafür, wie wir aus Nothilfe nachhaltige Unterstützung gemacht haben, bei der sich die Haitianer ohne CAREs direkte Beteiligung gegenseitig helfen können.“
Prévilia gehört zu einer aus über 400 Familien, die bereits von diesem Ansatz profitiert haben. Weitere 400 Familien werden sich bald an dem Programm beteiligen. Genau wie 500 neue Gastgeberfamilien, die Geld für Reparaturen an ihren Häusern benötigen.
Direkt nach dem Erdbeben leistete CARE Nothilfe und versorgte besonders betroffene Menschen mit Zeltplanen und Bausätzen für die Instandsetzung beschädigter Häuser und anderen benötigten Alltagsgegenständen. Später stellte CARE über 2.500 Notunterkünfte und Hygienekits zur Verfügung. Zurzeit arbeitet CARE an einem übergreifenden Ansatz, der den Wiederaufbau der Häuser und Nachbarschaften und die Schließung der Camps miteinander verbindet.
Angélène Jean gehört zu einer der Erfolgsgeschichten. Die 30-jährige Frau, ihr Ehemann, der als Fischer arbeitet, und ihre vier Kinder sind von einem provisorischen Camp in ihrer Küstengemeinde in das Haus ihrer Freundin Fleurime Gracia gezogen. CARE reparierte zerbrochene Balken und eingestürzte Wände von Fleurimes niedrigem Betonhaus und stellte eine Ausbildung sowie ein Startkapitalfonds für Angélène bereit. Das Geld ermöglichte Angélène einen kleinen Laden auf der Veranda zu eröffnen. Dort verkauft sie heute Lebensmittel, Seife und Hygieneartikel. Seit dem Erdbeben, hat sich ihr Leben stark verbessert.
„Wir lebten für vier Jahre unter einer Zeltplane. Die Menschen waren krank und die Hitze war furchtbar“, erzählt Angélène. „Als CARE-Mitarbeiter und Ingenieure kamen war ich sehr glücklich, da ich ohne Hilfe nicht wusste, was ich machen sollte“.
Dank der Arbeit von John Augustin und seiner Kollegen, konnte jedes obdachlose Mitglied der Fischergemeinde – insgesamt 31 Familien – mithilfe des Programms erfolgreich in dauerhaften Unterkünften untergebracht werden. Jeder von ihnen lebt jetzt in einem mietfreien Zuhause, für mindestens 18 Monate. Lokale Arbeiter, angestellt und geschult für Reparaturarbeiten, erwarben neue Fähigkeiten, die sie nun in die Gemeinde einbringen. Da sowohl Gastgeber- und Gastfamilien kleine Geschäfte oder andere einkommensrelevante Aktivitäten betreiben, planen sie zudem für die Zukunft vor.
„Wir verdienen mehr als jemals zuvor“, erzählt Angélène. „ Wir zahlen das Schulgeld für alle unsere Kinder und hoffen genug Geld sparen zu können, damit mein Mann sich sein eigenes Fischereiequipment kaufen kann.“ Die junge Frau putzt bereits in der Nachbarschaft und schaut sich nach einem bezahlbaren Zuhause um.
Ihre zwei älteren Kinder flitzen von der Veranda und bahnen sich ihren Weg durch die dicht gebauten Häuser. Sie erreichen das offene Feld, das noch vor wenigen Monaten mit Zelten und Planen gepflastert war. Heute steht es wieder leer, mit Ausnahme von einigen Fußballspielern.
Als Teil des Übergangsprozesses plant CARE zudem, falls möglich (abhängig von den Landeigentumsrechten), die ehemaligen Campflächen in öffentliche Plätze für die Gemeinden umzuwandeln. Die Zukunft von Angélène, Fleurime und ihrer Nachbarn hält immer noch viele Herausforderungen bereit. Aber eines ist sicher: Es gibt keine Fremden mehr in den schmalen Straßen: Sie sind eine Gemeinschaft geworden.