Das Licht geht an, das Licht geht aus. Es flackert für einige Sekunden, dann wird es wieder dunkel. Hala sitzt auf dem Boden ihres kleinen Zimmers in Beirut. Ahmed, einer ihrer fünf Söhne, läuft in eine der Ecken des Zimmers. Zielsicher steigt er mit dem Bein über einen Koffer, der im Zimmer herumliegt. Er weiß genau, welche Kanten und Möbelstücke er in der Finsternis vermeiden muss. Hier in Sabra, einem der ärmsten und bevölkerungsreichsten Stadtteile der libanesischen Hauptstadt geht das Licht mehr aus als dass es an ist. Am Tag brennt die Glühbirne vielleicht eine Stunde, nie länger als ein paar Minuten am Stück. Den Rest der Zeit muss die Kerze, die Ahmed herbeigeholt hat, reichen. Im Schein der Flamme: das Zuhause der Familie. Ein kleiner, dunkler Raum, mit Schimmel an der Wand, Fenstern ohne Glas, kaltem, nassen Boden. Zwei Betten stehen in dem Raum, die fast auseinanderfallen. Die hat der libanesische Vermieter der Familie geschenkt.
"Ich habe jeden Tag Angst"
In Sabra ist nicht nur Strom knapp, auch Wohnraum, Arbeit und Wasser. Sabra entstand 1949 als Flüchtlingslager für palästinensische Flüchtlinge. Aus provisorischen Häusern sind feste Unterkünfte geworden, viele der Menschen leben hier schon seit Jahrzehnten. Mittlerweile sind sie allerdings nicht mehr unter sich. Auch Libanesen, die sich sonst nirgendwo in der Millionenstadt eine Bleibe leisten können und Flüchtlinge wie Hala sind hier untergekommen. Sie kommt aus Daraa, wo die syrische Revolution vor bald drei Jahren begann. Eigentlich wollte sie ihr Haus nicht verlassen, wollte ausharren, bis der Krieg weiterzieht. Aber erst gingen die Fenster kaputt, dann gab es für ihren Mann keine Arbeit mehr, er zog vor in den Libanon, wollte Geld nach Hause schicken. Irgendwann wurde das Haus beschossen, der Garten abgebrannt. Es war zu gefährlich zu bleiben. Sie folgte ihrem Ehemann mit ihren fünf Söhnen, die zwischen vier und zwölf Jahre alt sind.
Vor zehn Tagen hat Hala ein kleines Mädchen geboren. „Ich wollte immer eine Tochter haben. Ich war glücklich über ihre Geburt. Aber hier habe ich jeden Tag Angst, dass sie krank wird vor Kälte oder erfriert.“ Viele Menschen in Sabra haben keine Arbeit oder werden schlecht bezahlt. Halas Mann, wie andere syrische Flüchtlinge, arbeitet für weniger Lohn als viele seiner libanesischen Kollegen. Das sorgt für Unmut, den auch Hala zu spüren bekommt. „Mich hat keiner der Nachbarn gefragt, wie es mir geht nach der Geburt. Mir hat auch niemand gratuliert, dass ich gerade eine Tochter zur Welt gebracht hat. Ich kenne hier keinen und fast niemand spricht mit mir. Ich vermisse am meisten, Freunde, Nachbarn und Familie, bekannte Gesichter um mich herum zu haben.“
„Was soll mal aus meinen Kindern werden!“
Über 860.000 Flüchtlinge haben sich im Libanon beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen registriert. Die libanesische Regierung geht davon aus, dass bereits mehr als 1.2 Millionen Syrer in dem Land wohnen, das selbst nur eine Bevölkerung von knapp über vier Millionen hat. Hala ist auch nicht registriert. Erst hatte sie kein Geld, um die Transportkosten zu dem weit entfernten Registrierungsbüro zu zahlen. Der nächste Termin ist nun in anderthalb Monaten. Die Mutter hofft, dass sie Essensgutscheine bekommt, denn einige ihrer syrischen Verwandten und Freunde, die auch in den Libanon geflohen sind, sind leer ausgegangen. Im Moment bekommt die Familie Nahrungsmittel von einer lokalen Partnerorganisation von CARE. Von CARE hat sie Windeln für ihre Tochter und Hygieneartikel erhalten. Halas Mann verdient als Zimmerer gerade einmal so viel, dass er die Miete für ihr zehn Quadratmeter großes Zimmer bezahlen kann. Geld, um die Kinder in die Schule zu schicken, haben sie nicht. „Schon in Daraa haben sie zwei Jahre wegen des Krieges verpasst. Was soll mal aus ihnen werden!“ sagt Hala. Eine Aussage, keine Frage. „Ich habe kein Vertrauen mehr, dass meine Stimme gehört wird. Ich fühle mich ohnmächtig. Als stünde ich auf einem Marktplatz, auf einer kleinen Empore. Alle können mich sehen und hören, während ich schreie und schreie. Alle schauen mich an, aber niemand tut etwas.“ Sie zögert und sagt: „Die Menschen könnten auch Bäume sein, ein Wald voller Bäume in der Dunkelheit.“
Was macht Hala den ganzen Tag, was machen ihre Kinder? Irgendwann kehre der Alltag ein, man gewöhne sich an das, was niemals Gewohnheit werden darf, niemals alltäglich sein sollte. Damit die Kinder etwas zu tun haben, bindet sie sie in Routinen ein. Einer macht die Betten, der andere räumt die Matratzen und Decken vom Boden, wäscht das Geschirr in der kleinen Küchenzeile, aus der selten Wasser tropft, bereitet das Frühstück zu. Oder das Abendessen. „Wir müssen uns entscheiden, mehr als eine Mahlzeit können wir am Tag nicht essen. Manchmal spielen wir essen, dann tun wir so, als hätten wir ein Festmahl. Ob das die Sache wirklich besser macht, weiß ich nicht. Aber irgendwas müssen wir ja machen.“