Vor wenigen Wochen besaß Dragan noch einen wunderschönen Hof außerhalb von Obrenovac, etwa 30 Kilometer von Serbiens Hauptstadt Belgrad entfernt. Er war ein ganz normaler Bauer, einer der anpackt. Jeden Morgen stand der dreifache Familienvater noch vor Sonnenaufgang auf, fütterte das Vieh und bestellte die Felder. Die harte Arbeit hatte Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen, aber er führte ein gutes Leben, mit seiner Frau, seinen Töchtern und seiner Mutter.
Dann kam der Regen. Mitte Mai trat der nahegelegene Fluss über die Ufer, Wassermassen strömten von allen Seiten auf den Hof. „Das Wasser schnellte uns entgegen. Wir rannten alle wie wild durch die Gegend. Es brach Panik aus. Als erstes griff ich nach den Hühnern und Schweinen, dann versuchte ich die Futtervorräte zu retten“, erzählt Dragan. Mit Hilfe seines Bruders schaffte er einen Teil des Viehfutters, Traktoren und weitere landwirtschaftliche Geräte auf das Grundstück eines Freundes im Nachbarort.
Als sie nach der ersten Fahrt zurückkamen, folgte ein weiterer Schock. Binnen Minuten zerstörten die Überschwemmungen das Haus seiner Mutter. Dachziegel fielen herunter, die Wände brachen zusammen, die Außenmauer riss entzwei, bis schließlich ein großer Teil des Hauses komplett zusammenstürzte. Vor drei Monaten verursachten schwere Regenfälle massive Überschwemmungen und Erdrutsche in Serbien sowie in Bosnien und Herzegowina. Seit Beginn der Aufzeichnungen von Unwettern soll es sich um die schlimmsten Regenfälle seit 120 handeln. Die Fluten haben enorme Zerstörung und Leid in einer Region hinterlassen, die sich immer noch von vielen Jahren des Krieges erholt und unter chronischer Armut leidet. „Wenn ich das Haus meiner Mutter sehe, fehlen mir die Worte", sagt Dragan heute. „Ich bin dort geboren. Vier Generationen unserer Familie sind darin aufgewachsen. Jetzt ist nur noch ein großer Haufen Schutt übrig."
Nachdem Einsturz nahm Dragan seine 82-Jährige Mutter in seinem Haus auf. Gemeinsam mit den Töchtern lebt die Familie nun auf engstem Raum zusammen. Das ist nicht immer einfach. Dragans Mutter leidet unter starken Knieproblemen und Rückenschmerzen, sie kann kaum noch laufen und benötigt täglich Medikamente und Fürsorge. Und auch Dragans Haus ist stark beschädigt. Im Holz befinden sich große Risse, die Wände sind zentimeterweit vom Boden weggerückt. „Wir mussten fast alle unsere Möbel entsorgen. Unser Haus muss dringend repariert werden. Ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen", berichtet Dragans Ehefrau Safeta, mit Sorgenfalten auf der Stirn.
Die Flut zerstörte aber nicht nur die Einrichtung und das Fundament der Häuser, sondern fast den gesamten Lebensunterhalt der Familie. Tagelang stand das Wasser auf dem Hof. Die Familie wohnte knöcheltief im Dreck. Das wertvollste Tier, ein Stier im Wert von 1.200 Euro, starb im Schlamm. „Wir konnten nur einen kleinen Teil unseres Besitzes retten. Viele Hühner ertranken. Die meisten Maschinen sind komplett zerstört", erklärt Dragan. Doch der größte Verlust sind die zerstörten Felder.
Mit dem Anbau von Viehfutter wie Hafer, Gerste und Klee und dem Verleih von Traktoren an Nachbarn erwirtschaftete Dragan das Haupteinkommen der Familie. Rund drei hundert Euro verdiente er im Monat, genug um seine Mutter zu versorgen und seinen Töchtern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. „Normalerweise beginnen wir mit der Ernte des Viehfutters Mitte Mai. Dieses Jahr kam uns die Flut zuvor. Das Wasser zerstörte nicht nur die Ernte, sondern verseuchte wahrscheinlich auch vier Hektar fruchtbares Land. Unser Boden muss dringend getestet werden, aber dazu fehlen uns bislang die nötigen Mittel."
In Serbien sind mehr als 1,6 Millionen Menschen von den Auswirkungen der Flut betroffen, viele leben wie Dragans Familie von der Landwirtschaft und verloren ihre Haupteinkommensquelle. CARE hilft rund 120 Familien in Obrenovac mit Gutscheinen für Düngemittel, Tierfutter, Hühnern und Saatgut. Diese können nur in Geschäften aus der Umgebung eingelöst werden und stärken somit die lokale Wirtschaft.
Neben der Hilfe von CARE lebt Dragans Familie zurzeit von Safetas Einkommen. Sie arbeitet in einem kleinen Lebensmittelladen, der rund um die Uhr geöffnet hat. Jeden Tag fährt sie mit dem Bus eineinhalb Stunden zur Arbeit und wieder zurück. Meistens übernimmt sie die Nachtschicht, weil das mehr Geld bringt. Aber um ihre gesamte Familie langfristig zu versorgen, ist auch das zu wenig. Wenn sie im Morgengrauen von der Arbeit nach Hause kommt, hilft sie ihrem Mann bei Aufräumarbeiten. „Oft komme ich sehr erschöpft aus dem Laden, aber ich arbeite trotzdem weiter. So wie es ist, muss es wohl sein. Letztlich vertraue ich auf unseren Familienzusammenhalt. Meine Töchter geben mir die nötige Kraft durchzuhalten."