Mariam sitzt auf einer Plastikplane auf dem Boden, umgeben von ihrem Mann und ihren Kindern. Der Wind bläst stark gegen die kleine, behelfsmäßig aufgebaute Hütte. Sie wackelt so sehr, dass es nur eine Sache von Sekunden zu sein scheint, dass sie einstürzen könnte. Regen tropft durch die Wände und die Decke aus Pappe und Karton. „Nach Hause kommen habe ich mir anders vorgestellt. Ich dachte immer, dass ich nur nach Somalia zurückkehren würde, wenn sich die Dinge zum Positiven entwickelt haben.“
Mariam ist vor 17 Jahren aus Somalia in den Jemen geflohen, als in ihrer Heimatstadt Mogadischu der Krieg tobte. Sie fürchtete um das Leben ihres Mannes und ihrer damals zwei Kinder. Ihre Mutter und ihr Bruder waren bereits im Krieg umgekommen. „Wissen Sie, wir haben uns ans Leben im Flüchtlingscamp gewöhnt. In Aden, im Jemen, haben wir uns ein neues Leben aufgebaut. Ich habe acht weitere Kinder zur Welt gebracht, mein Mann hat als Fischer gearbeitet und ich habe einen kleinen Kiosk betrieben.“ Während sie spricht streichelt Mariam sanft über den Kopf einer ihrer Söhne. Er spielt mit einem kleinen Metalllöffel in seiner Hand und starrt dabei in eine Ecke des Zeltes. „Seit seiner Geburt hat er eine Behinderung“, erzählt sie. „Von all meinen Sorgen ist das meine größte. Er bekommt hier keine Hilfe oder Förderung. Seine Verfassung verschlechtert sich von Tag zu Tag.“
Zweimal Flüchtling
Seit dem Beginn des Konflikts im März 2015 sind mehr als 100.000 Menschen aus dem Jemen geflohen. Darunter sind auch etwa 30.000 Somali, die nach vielen Jahren und Jahrzehnten in ihre Heimat zurückkehren. „Der Krieg im Jemen hat sich immer weiter verschärft. Wir hatten jeden Tag Angst zu sterben. Aber am Ende sind wir vor allem vor dem Hunger geflohen. Es gab einfach nichts mehr zu Essen. Ich hatte Angst, dass meine Kindern verhungern würden“, erklärt Mariam.
Vor vier Monaten verließen sie den Jemen auf einem Boot. Ein somalischer Geschäftsmann hatte tausenden seiner Landsleute angeboten, sie wieder nach Hause und in Sicherheit vor dem Krieg in Jemen zu bringen. Wie Mariam und ihre Familie hatten viele dort Jahrzehnte in Flüchtlingscamps gelebt. Mariam war im siebten Monat schwanger, als sie die gefährliche Fahrt über den Golf von Aden auf sich nahm. Der Krieg, die vielen Monate, in denen sie nur das aß, was sie auf der Straße finden konnte und der Schock, abermals Flüchtling zu sein, waren zu viel für sie. Auf dem überfüllten Boot verlor Mariam ihr Kind. „Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich blutete und die Menschen nach Hilfe riefen. Aber es gab keine Hilfe. Irgendwann habe ich dann das Bewusstsein verloren.“
Hoffnung auf Sicherheit
Mariam und ihre Familie kamen in einem Transitzentrum in Bosasso an, dem kommerziellen Zentrum von Puntland und einem der größten Seehafen an der Südküste des Golfes von Aden. Nach ein paar Tagen wurden sie ins Jawle Camp gebracht, das etwa 20 Fahrminuten von der Stadt Garowe liegt. Der Wind peitscht den Sand hier über die flache Ebene. Etwa 20.000 Menschen leben hier. In den letzten Jahren haben Familien lange Wege auf sich genommen, um in Jawle Sicherheit und ein Dach über dem Kopf zu finden. Wovor sie geflohen sind? Vor Gewalt und vor Hunger.
„Die Menschen hier haben alle fast selbst nichts, aber teilen mit uns das Wenige, das sie haben. Manche haben uns alte Matratzen gegeben, andere haben uns geholfen, dieses Zelt hier mit Stöcken und Pappe aufzubauen“, sagt Mariam. Somalier, somalische Rückkehrer aus dem Jemen und Jemeniten selbst benötigen dringend humanitäre Hilfe in den Camps, vor allem jetzt, wo immer mehr Menschen in die Camps strömen. Die neuen Flüchtlingsströme bringen das Land, das bereits Zuhause von mehr als einer Million Binnenflüchtlingen ist, immer mehr an den Rand seiner Kapazitäten. Die Vertriebenen sind auf Hilfe angewiesen, damit sie eine Unterkunft, Wasser, Nahrung und Zugang zu medizinischer Hilfe und Schutz haben.
„Es kommt mir manchmal vor, als wenn der Krieg uns verfolgen würde“, sagt Mariam, die all ihr Hab und Gut im Jemen lassen musste. „Es fühlt sich an, als würde die Welt zusammenbrechen.“ In Jemen scheint die Gewalt nicht abzuklingen. Im Gegenteil, die für November geplanten Friedensgespräche haben noch nicht stattgefunden und über 14 Millionen Menschen haben nicht ausreichend zu essen. Das sind zwei Millionen mehr als im Juni und vier Millionen mehr als vor der Eskalation des Konflikts im März.
Auf Hilfe angewiesen
CARE arbeitet in Somalia seit 1981 und unterstützt Rückkehrer aus dem Jemen mit humanitärer Hilfe. Im Jawle Camp bietet CARE sogenanntes „Cash for Work“ an, organisiert die Müllsammlung, klärt über wichtige Gesundheits- und Hygienevorsorge auf und hat Frauen, die selbst sexuelle Gewalt erfahren haben, ausgebildet, andere Frauen im Camp im Fall von Übergriffen und Vorfällen zu unterstützen.
Im Moment bekommen Rückkehrer wie Mariam kaum Unterstützung, denn die gesamte Hilfe in der Region ist drastisch unterfinanziert. Dass es an fast allem mangelt, macht die Rückkehr für Mariam noch schwieriger. Seit 17 Jahren hat sie keinen Fuß mehr auf somalischen Boden gesetzt. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich so zurückkehren würde. Dass ich schon wieder ein Flüchtling sein würde. Ich war noch nie in diesem Teil des Landes und nichts an der Rückkehr hat sich angefühlt, als käme ich nach Hause. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich eigentlich überhaupt keine Wurzeln oder Verbindungen zu irgendeinem Land oder Ort mehr. Es ist mir vollkommen egal, wo wir leben, so lange dort Frieden herrscht, wir Arbeit haben, meine Kinder zur Schule gehen können und es eine medizinische Versorgung gibt.“