Nyanyin Jek ist müde und erschöpft. Sie lief gerade für zwei Tage durch den Sumpf von Uror im Bundesstaat Jonglei. Sie ist im siebten Monat schwanger und hofft auf medizinische Hilfe in der CARE-Klinik in Yuai. „Ich lebe in einem Dorf namens Dakriang, wo ich keine medizinische Hilfe bekomme. Freunde erzählten mir von dieser Klinik und ich beschloss, hierher zu kommen. Während meiner Reise aß ich nur Blätter, denn ich hatte keine Nahrung, die ich mitnehmen konnte", erzählt sie.
Doch dieser Weg ist bei weitem nicht Nyanyins schwerster gewesen. Als der Konflikt im Südsudan Ende 2013 ausbrach und die Gefechte im Januar auch Dakriang erreichten, packte sie ihre Kinder und floh. „Für drei Monate lebte ich unter einem Baum. Wir hatten nichts außer ein paar Blättern und Früchten zu essen. Ich hatte so viel Angst und versteckte meine Kinder im Gras, wenn Soldaten vorbei kamen", berichtet sie. Im März kehrte Nyanyin in ihr Dorf zurück. Ihre Hütte war geplündert und ihre Felder verwüstet. „Seit wir zurück sind, haben wir nicht viel zu essen. Meine Kinder und ich essen nur einmal am Tag Sorghum, eine Art afrikanische Hirse. Vor dem Konflikt haben wir Sorghum gezüchtet und ich habe es auf dem Markt verkauft. Jetzt haben wir kein Saatgut mehr, also können wir auch nichts anpflanzen."
Im Südsudan folgt die Ernte dem natürlichen Zirkel der Trocken- und Regenzeit. Doch nun, wo die Regenzeit schon zwei Monate andauert, haben viele vertriebene Familien keine Chance, ihre Felder zu bewirtschaften. Sie mussten fliehen und suchen weit weg von ihrem Zuhause Schutz. Den Gastgemeinden geht es auch nicht besser. Auch sie mussten kurzzeitig fliehen und kehren gerade erst wieder zurück. Nun teilen sie sich das Wenige, das übrig ist, mit den Neuankömmlingen. In anderen Teilen des Südsudans ist die Situation noch schlimmer, einige Gegenden sind an der Grenze zur Hungersnot. Ungefähr vier Millionen Menschen leiden unter Nahrungsknappheit, und mehr als 230.000 Kinder sind bereits massiv unterernährt.
Nyanyin ist nur eine von vielen Frauen, die draußen vor dem kleinen gelben Gebäude warten, das Teil der CARE-Klinik ist. Chuol Gatwich, der Klinikdirektor von CARE, unterbricht die Beratung einer jungen, schwangeren Frau und erklärt:
„Während der Kämpfe haben viele Frauen und Kinder ihre Dörfer verlassen. Sie haben sich im Wald versteckt, ohne Nahrung. Das ist vor allem für schwangere Frauen schlimm. Wenn sie unterernährt sind, hat das schwere Konsequenzen für das Wohlergehen und das Wachstum ihrer ungeborenen Kinder." So gebären unterernährte Mütter wiederum unterernährte Kinder. Chuol ist sich sicher, dass der Hunger jetzt sogar noch schlimmer ist als in den letzten Jahren: „Vor ein paar Wochen haben wir die umliegenden Dörfer besucht, um herauszufinden, wie schlimm die Unterernährung von Kindern unter fünf Jahren ist. Die Mehrzahl der Kinder war mangel- oder sogar unterernährt. Und wir haben nur die Dörfer hier in der Umgebung besucht. Stellen sie sich vor, wie es denjenigen geht, die in Regionen leben, die von jeder Hilfe abgeschnitten sind!"
Einige Meter von der kleinen Klinik entfernt sind CARE-Mitarbeiter damit beschäftigt, den kleinen Platz vor einem großen weißen Zelt in verschiedene Linien einzuteilen. Diese Linien werden dazu dienen, die Verteilung von Saatgut zu beschleunigen, die gleich stattfinden wird. „Heute verteilen wir Okragemüse-, Sorghum-, Erbsen-, Sesam-, Wassermelonen-, Tomaten-, Zwiebeln-, Auberginensamen an 560 Haushalte hier in Yuai", erklärt Mujahid Hussain. Er beaufsichtigt hier die Nothilfe von CARE und trägt dafür Sorge, dass die Verteilung ruhig verläuft. CARE wird 21.000 Gast- oder Flüchtlingsfamilien in Jonglei, dem Gebiet, das am meisten vom Konflikt betroffen ist, mit Saatgut helfen. „Die Flüchtlinge kamen mit nichts, und haben wenig Hoffnung auf Rückkehr, bis der Konflikt endet. Zudem wurden die Hütten vieler Gastfamilien zerstört, als die Kämpfe vor ein paar Monaten auch hier aufflammten. Wir hoffen, dass wir mit diesem Saatgut den Familien helfen wieder auf eigenen Füßen zu stehen", sagt Mujahid.
Zurück in der Klinik ist Nyanyin als nächstes an der Reihe. Sie bekommt Medizin und bereitet sich dann auf den langen Weg nach Hause vor. Für einen Moment hält sie an, wirft sich den bunten Schal um die Schulter und sagt: „Unser Leben ist jetzt noch schlimmer. Wir haben nichts. Wir haben das nicht erwartet. Vor drei Jahren, nach der Unabhängigkeit des Südsudans, haben wir hoffnungsvoll in die Zukunft geschaut, aber dieser Konflikt ist schrecklich. Wir sind alle Menschen, und wir verdienen dieses Leid nicht."
Die Konflikte im Südsudan sind im Dezember 2013 ausgebrochen. Seitdem sind 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht, sie lassen alles zurück. Der große Flüchtlingsstrom, die ausgefallene Ernte und die anhaltende Gewalt könnten in den kommenden Wochen dazu führen, dass der Südsudan das Stadium einer Hungersnot erreicht. Bis zu 3,9 Millionen Menschen wären Schätzungen zufolge davon betroffen. 675.000 Kinder zeigen bereits Anzeichen von Unterernährung, 235.000 sind massiv unterernährt. Ohne humanitäre Hilfe würden sie sterben. CARE leistet medizinische Unterstützung, versorgt unterernährte Kinder mit Nahrungsergänzung, baut sanitäre Anlagen, verteilt Saatgut und andere Hilfsgüter. Noch ist eine Katastrophe abwendbar.