Südsudan: Unausgesprochene Fragen, unausgesprochene Antworten

Tom Perry, Medienkoordinator von CARE International, besuchte ein Krankenhaus im Südsudan. Dort leiden viele Kinder unter der Hungerkrise.

„Und, was denkst du?“ fragte mich Isaac Ibrahim, ein CARE-Krankenpfleger, als wir seine Arbeit im Pariang Krankenhaus verlassen.

„Es ist schwierig. Ich denke, du stehst unter großem Druck“, antwortete ich.

Nach Isaacs einfacher Frage dachte ich nach. Jede Antwort wäre jämmerlich unpassend für den Druck, die Frustration und die Herausforderungen, denen Isaac und seine 25 Kollegen jeden Tag gegenüberstehen.

Das Krankenhaus liegt im Unity State, ein Bundesstaat im Norden des Südsudans und ein Gebiet, das für tausende Flüchtlinge aus dem Sudan das Zuhause ist. Es bietet medizinische Versorgung für 80.000 Menschen, die aus bis zu 100 Kilometern Entfernung herkommen. Spritzen, Ausstattung und Medikamente wie Antibiotika und Malariatabletten sind knapp. Durch die  unpassierbaren Straßen ist das Krankenhaus auf unregelmäßige und teure Luftlieferungen angewiesen. Die Mitarbeiter sind erschöpft.

Als unser LKW auf der langen, geraden und staubigen Straße zurück nach Yida fährt, wo die Basis aller CARE-Projekte in diesem Teil des Unity States angesiedelt ist, beginne ich mich für meine unpassende Antwort zu schämen. Ich lenke mich mit dem Durchblättern meiner Notizen vom heutigen Besuch ab. Isaac sieht mich mit jugendlichem Interesse an. Ich zeige ihm einige Fotos, die ich gerade aufgenommen habe, darunter auch eines von ihm.

Ich frage Isaac, wie alt er ist. Er sagt, er sei 40, aber er sieht nicht danach aus. Ich sage ihm das. Vielleicht hilft es ja, die Stimmung aufzulockern. Ich erzähle ihm, dass viele Menschen denken, ich sei 21 anstatt 32. Er lächelt.

Aber dann zeigt er auf eine kleine Figur im Hintergrund eines meiner Bilder und fragt: „Was denkst du über das kleine Mädchen? Darüber, was mit ihr geschah?“

Der kleine Moment, in dem wir gemeinsam unsere Jugendlichkeit teilten, war vorbei. Ich musste nicht einmal auf das Bild sehen, um zu wissen, von welchem Mädchen er sprach. Nicht älter als vier oder fünf Jahre, war sie die erste, die ich sah, als ich am Krankenhaus ankam. Sie saß still auf dem Stuhl neben ihrem Vater, einem Polizisten. Er hatte genau den gleichen, müden Blick wie die meisten hier. Jeder konnte sehen, dass das kleine Mädchen sehr, sehr krank war.

„Hat sie Malaria?“ frage ich Isaac. „Ja. Aber es ist mehr als das“, antwortet er. „Auch für ein kleines Mädchen wie sie, deren Vater Arbeit hat, gibt es nicht genügend zu essen. Wir sehen so viele Kinder wie sie. Einige haben Malaria, viele leiden wegen der Unterernährung an Durchfall. Einige sind so stark unterernährt, dass wir sie direkt zu den Notfallernährungszentren schicken. Das ist zurzeit die Normalität.“

Ich frage Isaac was „zurzeit“ bedeutet. Seit Dezember 2013 wird dieses junge Land von Gewalt, Angst und Hunger geplagt. Und der Südsudan war schon vor dem Ausbruch der Gewalt eines der ärmsten Länder der Welt.

„Vor dem Krieg war alles besser“, erzählt Isaac mir. „Aber als dieser Krieg ausbrach, flohen die Menschen aus Angst. Sie verloren ihr Land und leben jetzt im Wald oder in Camps. Es gibt kein gesundes Essen mehr.“

Er erzählt mir, dass viele, die krank und verletzt sind, sich auf die gefährliche Reise zu Krankenhäusern wie Pariang machen. „Patienten kommen von weit her – oft laufen sie tagelang zu Fuß. Manche kommen auch mit Eseln, oder vier Menschen tragen einen Kranken.“

Er stockt und schaut auf seine Hände. Isaac hat sicher viel Schlimmeres gesehen als nur erschöpfte Menschen.

„Es herrscht immer noch Angst, trotz der Friedensverhandlungen. Wirkliche Anzeichen von Frieden sehe ich keine.“

Ich hoffe für Menschen wie Isaac und die hunderten Menschen, die jede Woche im Pariang Krankenhaus behandelt werden, dass es bald Frieden gibt.

Der Konflikt im Südsudan brach im Dezember 2013 aus. Seitdem mussten mehr als 1,5 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen und konnten deshalb ihr Korn nicht säen. Die Flucht und Unsicherheit können zu einer Hungersnot führen, von der bis zu 3,9 Millionen Menschen betroffen wären. Schon heute leben im Südsudan rund 235.000 unterernährte Kinder, die ohne jede Unterstützung sterben werden. CARE arbeitet unermüdlich daran, Menschen mit Medizin, sanitären Anlagen und Korn sowie unterernährte Kinder mit Nahrungsergänzungsmitteln zu versorgen.