Ukraine: Ein Monat nach Kriegsbeginn werden verheerende globale Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit sichtbar

Der Krieg in der Kornkammer Europas hat verheerende Auswirkungen auf die größten humanitären Krisen der Welt. Der drastische Anstieg der Nahrungsmittelpreise wirkt sich besonders gravierend auf die ärmsten Haushalte und die humanitäre Hilfe in Ländern wie Somalia, Afghanistan, Syrien, Jemen und der Demokratischen Republik Kongo aus.

Die ersten Prognosen für das Jahr 2022 gingen mit insgesamt 274 Millionen Menschen bereits von einem neuen traurigen Rekord an Menschen aus, die weltweit auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen sind. Dabei berücksichtigten sie jedoch noch nicht die  erschütternden Auswirkungen, der am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrise in einer der wichtigsten Kornkammern der Welt. Auf Russland und die Ukraine entfallen zusammen etwa 12 % der weltweit gehandelten Kalorien. Beide Länder gehören zu den fünf wichtigsten Exporteuren für viele wichtige Getreide- und Ölsaatenarten, darunter Weizen, Gerste, Sonnenblumen und Mais.

Kurz vor der Pflanzsaison (Mitte März bis Mitte Mai) schränken die andauernden Kämpfe in der Ukraine und die massive Vertreibung der Zivilbevölkerung den Zugang der Landwirte zu ihrem Land ein und unterbrechen die Versorgungsketten für Lebensmittel.

 

Weniger Nahrungsmittel, höhere Preise, mehr Bedarf, weniger Hilfe

Eine solche Unterbrechung der globalen Versorgungskette trifft Länder wie Jemen, Syrien, Libanon, Irak, Nigeria, Bangladesch und Sudan unmittelbar und besonders hart. Sie sind in hohem Maße von Weizenimporten aus Russland und der Ukraine abhängig. Die ebenfalls mit dem Konflikt in Verbindung stehenden Preissteigerungen auf den Weltmärkten wirken sich weltweit auf die Ernährungssicherheit all jener Haushalte aus, die ohnehin bereits einen Großteil ihres Einkommens auf Nahrungsmittel verwenden müssen.

"Um diese dramatischen Auswirkungen zu begreifen, müssen wir verstehen, dass viele der Länder, die bereits unter humanitären Krisen leiden, mit am stärksten betroffen sein werden. Allein der Jemen importiert 90 % seiner Grundnahrungsmittel und die Hälfte seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Bereits vor dem Konflikt in der Ukraine waren 17,4 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen, darunter 2,2 Millionen Kinder, die akut unterernährt sind", erklärt Danaé Dufoix, Projektmanagerin Nothilfe bei CARE Luxemburg.

Die Folgen sind auch im Libanon bereits zu spüren. Das Land importiert 66 % seines Weizens aus der Ukraine und 12% aus Russland. Die landesweiten Weizenreserven werden voraussichtlich nur noch einen Monat reichen (Stand Mitte März). "Der Krieg in der Ukraine könnte weit über die Landesgrenzen hinaus Folgen haben. Im Libanon rationieren die Bäckereien seit mehr als einer Woche Brot, ein für die Ernährung der Ärmsten unverzichtbares Produkt. Letzten Montag ist der Preis für eine Tüte Brot um 20% gestiegen", warnt Bujar Hoxha, Direktor von CARE im Libanon.

In Somalia, wo über 90 % der Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine stammen, sind die Preise für Weizen und Öl bereits um 300 % gestiegen. Iman Abdullahi, CARE-Landesdirektor für Somalia, sagte: "Angesichts der unterbrochenen Versorgungsketten macht uns große Sorgen, dass bald auch hier die Vorräte aufgebraucht sein werden. Wir beobachten schon jetzt eine steigende Zahl an unterernährten Frauen und Kindern, die in den von CARE betreuten Gesundheitszentren und bei mobilen Gesundheitsteams Hilfe suchen."

Maureen Miruka, Landesdirektorin von CARE Kenia, berichtete: "Die meisten Haushalte verwenden hier Gas zum Kochen, doch der Gaspreis stieg in kurzer Zeit um 48 %. Die Landwirtschaft, in der 40 % der Menschen des Landes beschäftigt sind, hängt von Düngemittelimporten aus Russland ab. Das Landwirtschaftsministerium hat unlängst gewarnt, dass die bereits hohen Preise um nochmal 70 % steigen könnten. Unsere CARE-Mitarbeiter sind besonders besorgt über die Folgen eines weiteren Anstiegs der Lebenshaltungskosten. So mussten wir in der Vergangenheit immer konstatieren, dass ein solcher externer Schock Frauen besonders betrifft. Immer dann, wenn die Einkommen der Haushalte negativ beeinflusst werden, haben wir eine Zunahme der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen festgestellt. Darüber hinaus wird auch der Rückgang der verfügbaren Nahrung in vielen Familien besonders die Frauen und Mädchen treffen. Wie unsere Erfahrungen zeigen, sind gerade sie in Krisen oft die letzten, die Essen erhalten.“

 

Doppelte Wirkung von Preiserhöhungen

"Während weltweit die Zahl der Gemeinden und Einzelpersonen, denen es an Nahrungsmitteln mangelt, immer weiter steigt, stehen die humanitären Organisationen vor einem ähnlichen Problem: Wie können wir die wachsende Lücke in der Nahrungsmittelversorgung schließen und die Gemeinden in die Lage versetzen, sich selbst zu versorgen, während ein gleichbleibendes Volumen der humanitären Hilfe immer weniger Güter einkaufen kann?", fragt Frédéric Haupert, Direktor von CARE Luxemburg. "Es ist unsere Hoffnung und unser Plädoyer, dass die beeindruckende Solidarität mit den Menschen, die direkt von der Krise in der Ukraine betroffen sind, aufrechterhalten werden kann, ohne dass die humanitäre Hilfe in anderen dramatischen Krisensituationen zurückgefahren werden muss."