Jemen: Flucht von Krieg zu Krieg

Unsere CARE-Projektmanagerin, Dr. Hala Mejanni, berichtet aus dem Krisengebiet.

Stell dir vor, Du wachst eines Tages auf und Dein Zuhause ist umzingelt von einem Krieg, den Du nicht erwartet hast. Luftangriffe haben die Häuser Deiner Nachbarn zerstört. Alles steht in Flammen. Der Geruch der Kämpfe ist überall, Krieg umgibt Dich. Du kannst Deine Verwandten nicht erreichen und fürchtest, sie könnten tot sein. Du hast nur wenig Geld und die Banken sind geschlossen. Du packst soviel Du kannst in eine Tasche und flüchtest mit Deiner Familie in ein anderes Land. Dort hoffst Du Sicherheit, Frieden und ein wenig Unterstützung zu finden.

Aber dann beginnt auch in diesem Land ein Krieg. Mehr Raketen, mehr Luftangriffe, mehr zerstörte Häuser. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat Dir „vorübergehenden Schutzstatus“ gewährt, aber das bedeutet nichts zwischen Beschuss und Luftschlägen, die ohne Unterscheidung zielen. Die medizinische Versorgung in den Krankenhäusern ist genauso schlecht wie die in Deiner vom Krieg gezeichneten Heimat. Deine finanziellen Rücklagen neigen sich dem Ende, doch die Arbeitsplätze sind begrenzt. Das Schlimmste: Es gibt wenig Hoffnung auf Entkommen. Dein spezieller „vorübergehender Schutzstatus“, dazu gedacht, Dich vor dem Krieg in Deiner Heimat zu schützen, unterwirft Dich einem anderen. Während andere Ausländer evakuiert werden, musst Du im Krisengebiet bleiben.

Gefangen ohne Wasser und Essen

Ich bin eine von geschätzten 15.000 Syrern, die versuchen, den Konflikt im Jemen zu überleben. Nur 3.000 sind beim UNHCR als Flüchtlinge registriert. Sie leben nicht in Camps, sondern sind über mehrere Städte verstreut, versteckt zwischen den Armen in den urbanen Zentren des Jemen. Als Projektmanager von CARE International im Jemen treffe ich oft syrische Flüchtlinge, erfasse ihre Bedürfnisse und versuche Wege zu finden, ihnen zu helfen – entweder durch finanzielle Hilfe oder Verweise zu anderen Organisationen. Aber in den letzten Monaten wurde ich mit Telefonanrufen und Anfragen von Flüchtlingen, die verzweifelt Schutz suchen, überhäuft.

Viele sind in der Stadt Aden gefangen, ohne Essen und Wasser. Sie haben Angst, getötet zu werden, wenn sie ihre Wohnungen verlassen. Andere haben in nahegelegenen Dörfern Zuflucht gesucht, aber was nun? Ohne Einkommen, ohne Hilfe – wie sollen sie den monatelangen Krieg überleben? Diese Menschen sind auf der Suche nach Sicherheit aus Syrien geflüchtet. Nun sind sie hier gefangen und fürchten um ihr Leben. Sie suchen verzweifelt nach Wegen aus dem Konfliktgebiet, irgendeiner Möglichkeit, einem weiteren Krieg zu entkommen und aus dem Jemen in ein sicheres Drittland zu flüchten – egal welches.

„Einige Flüchtlinge haben mir erzählt, sie spielen mit dem Gedanken nach Syrien zurückzukehren. Sie würden lieber in ihrem eigenen Land mit der Ungewissheit leben, gefangen genommen oder getötet zu werden als hier zu versuchen, den Krieg zu überleben“, so Dr. Hala Mejanni. Der Krieg hat im Jemen seine Spuren hinterlassen. Laut UNHCR wurden bereits mehr als eine halbe Million Jemeniten vertrieben – aber sie haben Familie und Freunde, ein soziales Netzwerk, auf das sie sich verlassen können. Die syrischen Flüchtlinge sind allein, ohne mögliche Auswege.

CARE unterstützte bislang 10.000 syrische Flüchtlinge

CARE ist eine der wenigen internationalen Organisationen, die sich um syrische Flüchtlinge im Jemen kümmert. In den letzten Monaten hat CARE 1.300 syrischen Flüchtlingen mit monatlicher Mietunterstützung, finanziert durch das Büro der UN für die Koordinierung der humanitären Hilfe (OCHA), geholfen, ihre Unterkünfte zu behalten. Weitere 800 Haushalte wurden mit Haushalts- und Hygieneartikeln versorgt. Insgesamt konnte CARE beinahe 10.000 syrischen Mädchen, Jungen, Frauen und Männern im Jemen helfen. Aber es muss noch viel mehr passieren: „Auch wenn die Medien von einem Konflikt zum nächsten schauen, sich ihre Aufmerksamkeit auf die humanitären Katastrophen anderswo richtet – im Namen der tausenden syrischen Flüchtlinge gefangen in einem anderen Krieg, vergesst uns nicht.“