Ein Schotterparkplatz im Norden von Serbien, etwa zehn Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Es ist Spätsommer, die Sonne brennt auf der Haut, die Höchsttemperatur des Tages ist erreicht: 37 Grad Celsius. Frauen, Kinder und Männer sitzen unter kargen Bäumen vor einem Aufnahmezentrum für Flüchtlinge. Sie versuchen sich vor der Sonne zu schützen und sich auszuruhen. Seit Wochen sind viele der Menschen, die hier in Kanjiza ankommen, unterwegs. Zu Fuß, mit dem Bus, Zug oder Boot haben sie tausende von Kilometern zurückgelegt, auf der Suche nach einem sicheren Ort, fern der eigenen Heimat.
Mohammed kommt aus Syrien, wie die meisten der Menschen hier. Er ist vor fünf Minuten mit seiner Familie in Kanjiza angekommen. Die Hitze macht ihm zu schaffen. Der 65-Jährige ist sichtlich erschöpft von der langen Reise. Stundenlange Fußmärsche durch die Türkei, Griechenland und Mazedonien stecken ihm in den Knochen. Vor mehr als drei Wochen ist er mit seiner Familie aus Aleppo geflohen. Bevor der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, führte die Familie ein glückliches Leben. Als Besitzer von zwei Uhrengeschäften verdiente Mohammed genug Geld, um für die Dinge zu sorgen, die das Leben lebenswert machen. Jetzt aber hat er fast alles verloren. Über 70 Prozent seiner Heimatstadt sind zerstört. Als eine Bombe sein Haus traf und es für mehr als zwanzig Tage keinen Tropfen sauberes Wasser mehr gab, beschloss er gemeinsam mit seinen Töchtern und Enkelkindern zu fliehen. „Wir hatten keine andere Wahl. Wir mussten gehen. Zwei meiner Enkeltöchter sind noch sehr klein, ihr Gesundheitszustand wurde immer schlechter“, erklärt Mohammed.
Von Syrien aus floh die Familie über die Türkei nach Griechenland, bis sie schließlich die Grenze nach Mazedonien überschritt. Dort angekommen kaufte Mohammed Zugtickets in den Norden, an die serbische Grenze. Zehn Euro zahlte er pro Familienmitglied. Im Zug wurde er von seinen Töchtern und Enkelkindern getrennt. Dicht gedrängt stand Mohammed mit etwa 500 fremden Menschen in einem Waggon. Über Stunden hinweg konnte er sich kaum bewegen. „Die Zugfahrt war schrecklich. Wenn ich daran denke, schmerzt mein ganzer Körper“, berichtet er.
Laut den Vereinten Nationen registrieren sich tausende Flüchtlinge pro Tag in Serbien. Die Menschen aus Syrien, Irak oder Pakistan müssen sich entscheiden, ob sie innerhalb 72 Stunden Asyl beantragen oder weiterreisen. Die meisten ziehen schon nach ein paar Stunden weiter in Richtung ungarischer Grenze. Ihr Ziel ist die Europäische Union. Jeden Tag fahren mehrere Busse in Kanjiza zum serbischen Grenzort Horgos. Fernab der offiziellen Grenzposten suchen Flüchtlinge entlang des ungarischen Grenzzauns eine durchlässige Stelle, die sie nachts oder im frühen Morgengrauen überqueren können.
Auf dem Schotterparkplatz in Kanjiza kommt ein Bus an. Hunderte Menschen mit Kindern auf den Armen und Gepäck in den Händen strömen auf die Türen des Fahrzeugs zu. Mohammed und seine Familie beobachten wie die Menschen in den Bus drängen. Nach einer kurzen Rast wollen auch sie nach Ungarn weiterreisen. Mohammeds Sohn hat es bereits nach Deutschland geschafft. Er lebt in Bremen und wartet auf seine Familie. „Mein Bruder ist vor einem Jahr in Deutschland angekommen. Über sein Handy schickt er uns Tipps, die uns die Fluchtroute erleichtern“, sagt Sahar, Mohammeds jüngste Tochter. Mohammed fügt lächelnd hinzu: „Als ich noch ein kleines Kind war, sagte mein Großvater immer ich sähe wie ein Deutscher aus. Für einen Syrer bin ich sehr blass. Im Laufe meines Lebens habe ich mich immer wieder an seine Worte erinnert. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass meine Familie und ich unsere Zukunft in Deutschland sehen.“
Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation Novi Sad Humanitarian Center unterstützt CARE Familien wie die von Mohammed mit Trinkwasser, Keksen, Energieriegeln und Hygieneprodukten wie etwa Pflastern, Taschentüchern und Desinfektionsspray. In den letzten beiden Wochen erhielten mehr als 1.200 Menschen, die auf der Durchreise in die EU sind, Hilfe. „Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung. Wir haben kaum Geld und nur das Nötigste für die Kinder dabei. Wir sind sehr erschöpft. Seit Wochen schleppe ich eine schwere Tasche, in der sich Wechselkleidung für meine drei Töchter befindet. Mir tun die Schultern weh und ich bin froh, wenn wir endlich in Deutschland ankommen“, erzählt Sahar.